Ich denke, es ist immer eine Frage der eigenen Perspektive... und vor allem Einstellung. Die einen können über Aspekte, die ihnen an einem Spiel nicht gefallen, hinwegsehen und Spaß haben, andere steigern sich hinein. Auch ist sich nicht jeder der eigenen Subjektivität bewusst und kann differenzieren. Ich meine das auch gar nicht wertend; jeder Mensch ist anders, spielt aus anderen Gründen und hat andere Voraussetzungen.
Die eigene Vorstellung spielt, meiner Meinung nach, eine entscheidende Rolle. Der eine wünscht sich ein Happy End, der andere mehr Entscheidungsfreiheit, der dritte mehr Charaktertiefe und der vierte vielleicht eine größere Herausforderung. Niemand ist frei von Subjektivität; auch ich nicht. Ich bemühe mich immer, ein Spiel als Ganzes zu sehen und mich nicht an einzelnen Aspekten festzubeißen. Ich schaue immer nach der Stimmigkeit. Man kann Johnny mögen oder nicht, aber der Charakter und sein Verhalten sind stimmig; und dass er einem manchmal auf den Keks geht, auch. Als omnipräsent habe ich Johnny nie empfunden, aber da gehen die Meinungen offensichtlich weit auseinander.
Aber um auf das Thema zurückzukommen: Nehmen wir Witcher 3 als Beispiel, ist der "Gewissenskonflikt" - meiner Ansicht nach - weit mehr als ein Stilmittel: Es ist ein zentrales, wenn nicht sogar das zentrale, Spiel- und Storyelement. Handlungen haben Konsequenzen, und zwar solche, die man deutlich spürt. Für mich bricht Witcher 3 sehr schön mit der Vorstellung des schwarz-weiß-Helden. Der gute Held rettet die Welt, der böse Held tötet alle - das ist hier nicht möglich, denn es gibt kein Gut und Böse. Es gibt keine richtigen oder falschen Entscheidungen, es gibt auch keinen Mittelweg. Die Questreihe um den blutigen Baron ist ein sehr schönes Beispiel dafür. Das Spiel stellt Spieler*nnen nicht vor die Frage, was moralisch richtig ist, denn jede Entscheidung ist vertretbar - die Frage ist, womit kann der Spielende leben. Welche Konsequenz ist er oder sie bereit zu tragen.
Was ist denn "gut" oder "böse"? Was ist eine "negative" Eigenschaft? Wer definiert das? Es sind doch genau diese Dinge, die Charaktere greifbar und authentisch machen. Wir alle haben Ecken und Kanten; haben unsere Vergangenheit, Traumata, Probleme. Wir sind nicht nur strahlend und fröhlich, sondern nicht selten schwer zu ertragen. Mir bleiben Charaktere wie Kerry oder Judy im Gedächtnis, weil ich mich mit ihnen identifizieren kann. Ich erkenne mich in ihren Fehlern und Schwächen, und die machen sie genauso aus wie ihre Stärken. Die einzige Schwierigkeit, die ich mit den Charakteren in Cyberpunk hatte, war ihr verschwendetes Potenzial. Sie sind unheimlich gut geschrieben, wirken aber oft wie Statisten; da hatte ich mir tatsächlich mehr erhofft, in Witcher 3 war CDPR - in meinen Augen - deutlich weiter. Aber sei es drum, das ist vermutlich auch nur rein subjektiv.