Ein Streetkidversuch
Der Wecker piepste einen ekelhaften Ton. Dustin wurde mit einem müden, schweren Kopf wach. Er schaute auf die Uhr. 6 Uhr. Müde streckte er sich und suchte seinen Weg ins Bad und in die Küche. Dunkel erinnerte er sich, das seine Mutter irgendwann gegen 4 nach Hause kam und dabei sehr laut war. Es muß so gegen 4 gewesen sein oder später? Er hatte bis 3 noch gespielt, als seine Reflexe und die Konzentration langsam nachließen.
Heute, so hatte er sich vorgenommen, wollte er sich endlich mal wieder bei den "armen Schulschwestern" sehen lassen. Sie leiteten eine Schule, in die jeder, der katholisch war, in seinem Viertel gehen durfte und das kostenlos. Sie erwarteten Anwesenheit und das man nicht den Unterricht störte. Solange das gewährleistet war, bekam eigentlich jeder seinen Highschool Abschluss. Gut, ab und an sollte man seine Hausaufgaben haben und nicht grade nichts in den Prüfungen hinschreiben und ein Highschoolabschluss könnte nicht schaden. Zumal Schule viel weniger anstrengend war und Dustin schaffte es auch mit nicht viel lernen ganz gute Noten hinzubekommen. Allerdings wusste er auch, dass ein Abschluss einer Armenschule nicht viel in der Welt wert sein würde. Also in Harvard oder Yale würde er sicherlich kein Stipendium bekommen. Auch auf sonst keiner Universtität. Ab und zu kamen Mönche, Priester oder Nonnen um für die Aufnahme in einen Konvent der katholischen Kirche zu werben oder doch einem Priesterseminar beizutreten. Er und seine Mutter konvertierten zum Katholizismus, weil es seine Mutter für besser hielt, er würde auf die doch etwas bessere katholische Schule gehen als auf die staatliche. Die war absolut das letzte. Fast jede Woche las man von Messerstechereien, Schießereien oder es wurde mal wieder ein kleiner Drogendealer geschnappt.
Dennoch, er ließ sich zwar Sonntags ab und zu mal bei der heiligen Messe blicken, aber so wirklich glaubte er nicht an den ganzen Kram. Das durfte man in dieser Schule natürlich nicht sagen. Er hatte auch überlegt ob Priester oder Mönch eine Karriere für ihn wäre...in der Einsamkeit der klösterlichen Zelle könnte er zumindest spielen, aber er bezweifelte das soetwas in einem Orden erlaubt war. Zumal die meisten Orden heutzutage mehr arbeiten mussten, als ein Corpo Angestellter. Nee, das war nichts.
Er trat aus seinem Zimmer. Die Wohnung war wie immer unaufgeräumt. Der Fernseher lief und seine Mutter schlief davor. Sie schaute gerne nach ihrer Arbeit noch etwas fern und ist dabei wohl eingeschlafen. Wenigstens schlief sie nicht auf dem Klo. Das war mal zu Halloween passiert. Dustin musste morgens und wer saß auf dem Klo? Muttern, schlafend, besoffen in ihrem Hexenkostüm. War schon ein lustiges Bild, aber dennoch blöd, wenn man musste.
Die Hauskatze begrüßte ihn. "Na Sammy? Du hast auch keinen Bock, was?" Er öffnete den Kühlschrank und wie immer schlug ihm Leere entgegen. Seine Mutter hatte mal wieder nicht eingekauft, aber ihm auch nicht die Geldkarte dagelassen, das er einkaufen konnte. Es fand sich nur eine offene Packung Milch, eine Sektflasche und im Eisfach ein Wassereis. Super!
Währenddessen rieb sich Sammy schnurrend an seinen Beinen und miaute. "Ja,ja...." er öffnete den Schrank und nahm eine Dose Katzenfutter raus. Wenigstens das war da. Speck mit Eiern..das wärs jetzt. Er hatte so einen Appetit auf Speck, als das Katzenfutter in seine Nase stieg. Hm...die Nachbarin kam ihm neulich mit einer Palette Hundefutter entgegen. Das war spottbillig im Angebot gewesen. Er wusste aber, dass sie keinen Hund hatte. Ob er vielleicht....er nahm einen kleinen Löffel und tat etwas von dem Katzenfutter drauf. Er steckte den Löffel in den Mund. Es war in der Konsistenz ekelhaft knochig. Nee, daran kann man sich nicht gewöhnen. Dennoch schluckte er es runter und stellte Sammy sein Futter hin. Der Wäschekorb war auch schon wieder am Überquellen. Er stopfte die Wäsche in die alte Waschmaschine und stellte sie an. Dann ging er zurück in sein Zimmer, griff sich seine Schultasche, ging wieder in die Küche, wo Sammy noch am Fressen war, griff sich das Wassereis und widerstand dem Drang seine schlafende Mutter zu trollen und "Bis nachher" zu rufen. Allerdings nahm er ihre Geldkarte mit. Wenn sie nicht einkauft, Pech. Musste er das halt machen.
Er lief das Treppenhaus runter, denn der Fahrstuhl war mal wieder kaputt. Tante Manuela, eine ältere Nachbarin öffnete die Tür. "Dusty! Sag bitte deiner Mutter sie soll nicht so laut sein, wenn sie nach Hause kommt. Gestern war es vier Uhr und sie kam fluchend die Treppe hoch. Wir ärgern uns alle, das der Fahrstuhl seit Wochen kaputt ist, aber man kann doch trotzdem ein bißchen Rücksicht erwarten." Man, die nervte. Was konnte er denn dafür, was seine Mutter machte. "Ja...tut mir leid, ich sage es ihr." "Dusty, du weisst ja ich kann nicht so laufen, nimmst du bitte meinen Müll mit runter?" "Kann ich machen, Tante Manuela." "Bist doch ein guter Junge. Aber deine Mutter....nee nee nee....also diese Gegend verkommt immer mehr. Früher war das eine gepflegte Gegend, aber mittlerweile kann man ja hier nirgends mehr hingehen. Und weisst du, so ganz unter uns...diese junge Frau, die unten eingezogen ist...also ich weiß nicht, ich weiß nicht....das ist bestimmt eine Nutte, halt dich besser fern von der. Der steht doch schon das Wort "Geschlechtskrankheit" ins Gesicht geschrieben. Aber du bist ja ein guter Junge. Nächsten Sonntag können wir gemeinsam in die heilige Messe gehen." Dustin war genervt, aber nickte höflich und nahm die Mülltüten entgegen. "Ich muss jetzt aber zur Schule." "Sicher, mach was aus deinem Leben, mein Junge. Dann endest du nicht wie deine ähmm....wie die Nachbarin unten." Dustin verabschiedete sich höflich und rannte die Treppen runter. Graffitti war im Hausflur, die Farbe war am Abblättern und das Geländer hatte auch schon bessere Tage gesehen. Die Scheibe in der Tür unten war eingeschlagen und das auch schon seit Wochen.
Den Müll schmiss er in hohem Bogen auf irgendeinen Balkon im 2.Stock und rannte weg in Richtung U-Bahn. Bis zur Schule sind es zwei Stationen, da würde sich das Spielen kaum lohnen. In der U Bahn aß er das Wassereis und ließ sich von der Werbung berieseln. Militech sucht...bestimmt Kanonenfutter. Nee danke. Diese Corpo warb für Seife, jene Corpo wollte Autos verkaufen...er wusste nicht wirklich, was er arbeiten sollte. Etwas mit wenig Arbeit, viel Geld und bei dem er massig Zeit zum Spielen hätte. Nur was soll das für ein Job sein? Auf seinem Weg in die U Bahn Station kam er immer dort vorbei, wo seine Mutter ihre Kneipe hatte und er wusste, das sich viele Frauen dort verkauften. Wenn er seine Mutter besuchte, sah er sie oft. Sie sahen sehr hübsch aus und regten Gefühle in ihm. Dennoch wurde in der Schule immer vor solchen Frauen gewarnt. Sie hätten alle erdenklichen Krankheiten und man kann sich nicht schützen. Selbst ein Kondom schütze nicht vor allem. Außerdem war er dafür noch zu jung und diese Frauen lachten ihn aus und machten Sprüche, wenn er seiner Mutter etwas brachte, an ihnen vorbeiging und grinsen mußte. Er ging immer schnell vorbei und die Kneipe. Seine Mutter gab ihm immer eine Cola aus, aber schickte ihn auch bald wieder nach Hause.
Wieder gab er sich seinen Gedanken hin. Miller Corporation warb wieder für irgendwas. Aber in eine Corpo? Die arbeiten sich tot, haben geringe Freizeit und selbst da dürfen sie nichts. 12 Stunden...das ist immerhin ein halber Tag. Er kam mit wenig Schlaf aus...hätte er dann noch genug Zeit zum Spielen? Er wusste es nicht. Corpos leben abgeschottet. Viele in seiner Klasse träumten davon einer Corpo anzugehören, wieder andere sahen das wie er. Arbeiten? Bloß nicht....aber von irgendwas wird er leben müssen. Noch hatte er einige Zeit.
Männer können auch ihre Körper verkaufen, nur er war weder besonders schön noch besonders auffällig. Für die Kneipe seiner Mutter war er zu ruhig und zu verschlossen. Man verkaufte ja nicht nur Getränke, man mußte auch irgendwie die Gäste unterhalten, Freundschaft vorspielen und sich durchsetzen, wenn einer die Zeche prellen will....Aber Prostitution? Da mußte man auch auf Leute zugehen...konnte er das? Und diese Frauen stehen da manchmal die ganze Nacht...also so schnell ist das Geld auch nicht gemacht.
Müde traf er in der Schule ein, schmiss seinen Rucksack auf seinen Tisch. "Ey, du alter Wichser, sieht man dich auch mal wieder?" begrüßte ihn Will, sein Kumpel.
"Ja man, was geht?"
"Nicht viel, Steve ist runtergeflogen, nachdem er Schwester Scholastika einen Gummipenis auf den Tisch gesteckt hat."
"Boah echt? Hahahaha, schade das ich nicht da war, das Gesicht hätte ich gerne gesehen, die hat den bestimmt heimlich eingesteckt. Woher wusste sie, das er das war?"
"Ach die heilige Annie hat ihn verpetzt, die blöde Schlampe. Nur man kommt auch nicht an sie ran. In den Pausen hockt sie immer bei den Nonnen. Sie will ja selbst eine werden."
"Na das passt, hässlich wie die Nacht, kleine Titten,fetter Arsch, was macht man also? Sag mal, haste die Hausaufgaben?"
Dustin schrieb sie schnell ab, als Schwester Scholastika den Raum betrat. "Lass nachher mal zu Uncle Nick`s gehen. Ich hab Mutters Geldkarte." flüsterte er noch schnell Will zu.
Der Unterricht zog sich hin, Dustin beteiligte sich ab und zu mal und wurde sogar gelobt. In der Pause ging er zu seinen anderen Kumpels und sie rauchten heimlich. Einer hatte auch eine Flasche Korn bei, die die Runde machte, aber Dustin war nicht so begeistert von Alkohol. Seine Mutter roch oft danach und der Geruch ekelte ihn. "Man Dusty, du bist echt ein Spießer. Willste etwa Priester werden?"
"Klar, ich bin dann vom Orden der befleckten Empfängnis. Ich bin Klosterabt und da dürfen nur Weiber rein." Die Jungs lachten. Einer bastelte einen Joint. Dustin zog auch dran. Das Gefühl zu schweben fand er angenehm, aber Geld dafür ausgeben wollte er auch nicht. So hielt er den Rest des Unterrichts durch, auch wenn er gegen das Einschlafen ankämpfen musste und der Hunger langsam stark wurde.
Nach der Schule fuhr er mit seinen Kumpels zu Uncle Nick`s. Auf dem Weg gab Dustin seinen Freunden eine Runde Pizza aus mit der Geldkarte seiner Mutter.
Nick war ein alter Veteran, der aufgrund einer Kriegsverletzung ehrenhaft entlassen wurde. Allerdings reichte ihm die Rente nicht und er fühlte sich zu jung um zu Hause in einer kleinen Wohnung zu hocken. Er hatte einen Gebrauchtwarenladen eröffnet, der besonders von Jugendlichen frequentiert wurde. Seine Cyberdancespiele, die oftmals Raubkopien waren und er sie deshalb zur Hälfte des Preises verkaufte, waren sehr beliebt. Dustin kaufte dort auch viel.
Ein bewaffneter Typ in Leder mit Chromschmuck und voll mit Cyberware stand vor der Tür und behielt die Straße im Auge. Er nickte den Jugendlichen kurz zu. Nick hatte Implantate von denen eins der Ladenüberwachung diente. Der Laden war sehr chaotisch und zwei große Hunde lagen hinter dem Tresen. Hier fand man fast alles, von der Waffe bis hin zu Elektronikgeräten bis hin zu Spielen oder Pornos. Es roch nach Elektronik, Hunden und Rauch. Nick stand hinter dem Tresen und unterhielt sich mit jemandem, auf dessen Arm ein großes Tattoo, das einer Spinne sehr ähnlich sah, prankte.
Er gab ihm einen Karton und Eddies wechselten den Besitzer. "Na dann wollen wir mal sehen, wie sich das verkauft." Dann verschwand Nick kurz mit dem Karton.
Dustin zog sich eine Cola an dem Automaten, der dort rumstand.
Die Jugendlichen schauten sich nach Comics, Cyberdancespielen, Musik, Fanartikeln um. Einer holte ein paar geklaute Spiele hervor und wollte mit Nick handeln. Dustin streifte ziellos durch die Regale mit Cyberdanceware und guckte nach Spielen, die er noch nicht kannte.